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  • AutorenbildSarah Schoeneich

Traumaheilung durch ganzheitliche Körperarbeit

1. Trauma ist eine normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis.


Das Allerwichtigste und Grundlegendste zuerst: Wenn Du traumatische Erfahrungen

gemacht hast, bist nicht Du falsch oder hast etwas falsch gemacht, sondern Dir ist etwas Falsches geschehen und Dein System antwortet darauf mit Schutzreaktionen. "Dissoziieren, fragmentieren und isolieren dienen dem Selbstschutz" (Dunemann et. al. S. 21).


Trauma ist der Verlust von Verbindung. Zu anderen und zu sich selbst.


2. Was bei traumatischen Erfahrungen im Körper geschieht -- physiologische Aspekte von Trauma


Das Nervensystem


Unser Körper ist ein extrem komplexes System. Um Trauma zum Einen und den Einfluss von Yoga auf Trauma zum Anderen zu verstehen, lohnt es sich, einen Blick auf unsere Hirnstrukturen bzw. unser Nervensystem (NS) zu werfen. Ich möchte probieren, es so einfach wie möglich zu erklären und weise gleichsam darauf hin, dass diese keine vollständige und wissenschaftliche Erklärung darstellt.

Danke an Denkbar für die übersichtliche Darstellung des Nervensystems!

Wir wollen uns zunächst den funktionellen Teil näher anschauen. Das somatische NS ist der willkürliche Teil des NS, also der, den wir bewusst beeinflussen und steuern können. Dieser ist wiederum aufgeteilt in Sympathikus (die Funktionen, die mit Aktivierung zu tun haben) und Parasympathikus (regulierende Funktionen).

Das autonome oder auch vegetative Teil hingegen beinhaltet die unwillkürlichen Funktionen; also jene, die wir nicht beeinflussen können.

Das autonome Nervensystem ist seit Urzeiten ein regelrechter Überlebenskünstler und steuert unsere Reaktionen auf Gefahrensituationen. Dort sind also die Dir möglicherweise bekannten Reaktionen Starre, Kampf und Flucht (fight - flight - freeze) veranlagt.


Das autonome Nervensystem beurteilt also blitzschnell eine Situation und bewertet sie auf dreierlei Art:

  • Sicherheit

  • Gefahr

  • existentielle Gefahr

Natürlich streben alle Menschen danach, sich möglichst häufig in einem Zustand der Sicherheit zu befinden, um andere Bedürfnisse wie die nach Entwicklung, Individualität, sozialer Interaktion etc. zu bedienen (siehe dazu bspw. die Maslow'sche Bedürfnispyramide).


Parasympathikus und Polyvagaltheorie

Der Parasympathikus, also der Teil des autonomen Nervensystems, der für Regulation, Ruhe und Entspannung zuständig ist, wird laut Polyvagaltheorie wiederum eingeteilt in den ventralen und den dorsalen Vagusnerv.

Der ventrale Vagus ist nervlich verbunden mit Herz, Lunge, Kopf und Gesicht. Er ermöglicht es, in Kommunikation, Beziehung und Verbindung zu sein. Es besteht eine Verbindung zu Stimmgebung, Atmung, Augenbewegungen sowie Hörsinn und drosselt die Aktivität des Sympathikus.

Der dorsale Vagusnerv ist ebenfalls an der Atmung beteiligt und für Verdauung und Fortpflanzung zuständig. Außerdem drosselt er bei Gefahr alle Vitalfunktionen.

Sowohl der Sympathikus als auch der Parasympathikus mit zentralem und dorsalem Vagus sind dafür zuständig, auf Reize aus der Umwelt zu reagieren. Die Polyvagaltheorie besagt, dass diese Reize (denen wir ja ständig ausgesetzt sind) durch den unbewussten Vorgang der Neurozeption bewertet und den drei oben bereits genannten Kategorien Sicherheit, Gefahr und existentielle Gefahr zugeteilt werden. Je nach Kategorisierung wird ein anderer Bereich des autonomen Nervensystems eingeschaltet.



​Wenn ein Reiz nun also als lebensbedrohlich bewertet wird, dann fährt der dorsale Vagus alle wichtigen Funktionen des Nervensystems herunter. Dies ist vor allem im Zusammenhang mit Triggern und deren Auswirkungen wichtig.


Das Gehirn


Danke an Praxis Lebensquell für die einfache und gute Erklärung!


Der Neokortex

Die oberste Ebene unseres Gehirns ist evolutionär gesehen die jüngste. Sie ist zuständig für rationales, logisches und lösungsorientiertes Denken, Wahrnehmung sowie lernen und planen. Der Neokortex speichert Ereignisse chrononologisch ab, kontrolliert bewusste Bewegungen und überwacht die Selbstregulierung.

Das limbische System

Das limbische System gehört zu den sogenannten subkortikalen Strukturen. Diese sind an vielen verschiedenen Funktionen beteiligt und haben u.a. Einfluss auf die Gedächtnisleistung. Gefühle und Motivation sowie Kindheits- und Verhaltensmuster, Erinnerungen, Erfahrungen und unsere Glaubenssätze sind hier abgespeichert. Das limbische System (besonders Amygdala und Hippocampus) spielt eine sehr große Rolle in der Verarbeitung von Sinnesreizen.

Hier entstehen intensive Gefühle, wie zum Beispiel Angst, Schrecken, Wut und Freude. Das limbische System ist über zahlreiche Nervenbahnen mit dem Neocortex verknüpft. Emotionen haben also einen starken Einfluss auf unser Denken und Handeln. Bei Gefahr werden in Millisekunden Signale vom limbischen System an das Stammhirn gesendet. Dieses wiederum aktiviert das autonome Nervensystem um blitzschnell auf die Gefahr reagieren zu können.


Das Stammhirn

Dieser Teil des Gehirns ist evolutionär gesehen der älteste und damit der primitivste. Es steuert unsere Instinkte und Reflexe. Hier werden lebensnotwendige grundlegende physiologische Vorgänge wie Verdauung, Fortpflanzung, Kreislauf, Blutdruck und Atmung reguliert. Das Stammhirn wird durch Sinneseindrücke gesteuert und es stellt letztendlich unser Überleben sicher. Hier befinden sich auch die drei oben bereits genannten Notfallprogramme (fight, flight, freeze), die aktiviert werden, wenn die Amygdala dem Stammhirn signalisiert, dass Gefahr besteht.

Hier wird also klar, dass die physiologischen Strukturen des Gehirns eng verknüpft sind mit den funktionellen des autonomen Nervensystems.


3. Einfluss von Trauma aufs Nervensystem

"Ein Trauma verändert das sensible Zusammenspiel von Sympathikus und Parasympathikus" (Dunemann et. al. S. 15f). Während einer traumatisierenden Erfahrung und auch, wenn die Erinnerung daran getriggert wird, befindet sich das System in einem Zustand existentieller Bedrohung. Wenn der Mensch nun bewusst oder unbewusst bedroht ist, dann schaltet der dorsale Vagus alle wichtigen Vitalfunktionen herunter und möglicherweise treten Symptome wie Erstarrung, Erschlaffung und nicht mehr präsent sein auf. Es gibt dann weder eine Verbindung nach außen noch hat die Person Zugriff auf die eigenen inneren Regulationsmechanismen. Diese "Fähigkeit", sich selbst nicht mehr zu spüren und zu fühlen wird auch Dissoziation genannt. Sie ist in Gefahrenmomenten eine große Hilfe, weil sie Gefühl und Verstand voneinander trennt und daher lebensrettende Maßnahmen ermöglicht: der Körper funktioniert, während der Verstand ausgeschaltet ist.

Dissoziation löst ein Gefühl der Entfremdung aus; man fühlt sich gelähmt und handlungsunfähig. "Ein Trauma macht sprachlos, da die Nervenverbindungen vom limbischen System (emotionales Zentrum) zum Sprachzentrum (Großhirnrinde) unterbrochen werden. Es mach eng und unflexibel […], die Fähigkeit, innerseelische Vorgänge zu verstehen, ist eingeschränkt. Der [/die] Betroffene versteht sich selbser nicht mehr und die Umwelt versteht ihn [/sie] auch nicht" (ebd. S. 20f.).

Trauma ist "subkortikal abgespeichert, daher können Methoden, die nur den Verstand ansprechen, nichts bewirken" (ebd.).



4. Yoga als Heilmethode

Krankheit und TSY

Menschen, die von (chronischer) Krankheit betroffen sind, erleben oft einen Verlust von seelischer Heimat; eine existenzielle Not und tiefste Verunsicherung. Auch kann die Frage nach dem Warum zu Antwort- und Hilflosigkeit führen. Hinzu kommt, dass in unserer christlich geprägten Leistungsgesellschaft, in der jeder ein hohes Maß an Selbstverantwortung trägt, oft die Schuldfrage gestellt wird. Hätte ich die Krankheit vermeiden können, wenn ich nur anders gelebt hätte? Viele Erkrankte erleben deshalb ihre Situation als beschämend und erleben eine mehrfache psychische Belastung (Ärzteblatt).

Das Traumasensible Yoga erlaubt eine andere Art der Auseinandersetzung mit dem eigenen, möglicherweise veränderten Körper. Das Ziel ist nicht, in eine möglichst schicke Yoga-Haltung zu gelangen, sondern den eigenen Körper wieder zu spüren als den Wohnort der Seele. Weitere Infos auf der Seite von TSY Ingradual.


Yoga als Heilmethode der Dissoziation

"Jede achtsam ausgeführte Yogaüung ist eine Heilung der Dissoziation: Wenn die Bewegung im Einklang mit dem Atem und dem Bewusstsein ausgeführt wird, sind Körper, Seele und Geist verbunden. Man kann nicht gleichzeitig seine Gedanken bei dem traumatischen Ereignis haben und dem Atem ins Hier und Jetzt die volle Aufmerksamkeit schenken, denn der Atem ist in jeder Sekunde anders. Auch die Bewegung, die dem Atemrhythmus folgt, ist in jeder Sekunde anders, und wenn ich abgelenkt wurde durch Gedanken an etwas anderes, habe ich ich vielleicht den Umschlagpunkt von der Ein- zur Ausatmung verpasst. So führt achtsames, wahrnehmungsorientiertes Yoga in die Präsenz des Hier und Jetzt und bildet damit das Gegenmittel zur Dissoziation" (Dunemann et. al. S. 27).



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