Als wir vor einiger Zeit im Frauenkreis Themen zur gemeinsamen Bearbeitung gesammelt haben, kam der Wunsch auf, über den Umgang mit schwierigen Emotionen zu sprechen.
Als ich anfing, mir Gedanken zur Gestaltung zu machen, kamen direkt die ersten Fragen auf, die auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so relevant sind, die für mich jedoch zunächst einer Definition bedürfen:
Was sind überhaupt Emotionen?
Was bedeutet schwierig?
Und was bedeutet umgehen?
Um dort etwas mehr Klarheit reinzubringen, habe ich Vivian Dittmar‘s Gefühle und Emotionen — eine Gebrauchsanweisung gelesen (nebenbei Pflichtlektüre in meiner Holistic Bodywork Ausbildung). Dieses Buch ist so wichtig und ich frage mich, warum sowas nicht schon längst Bestandteil der Rahmenlehrpläne an Schulen ist. Nun denn, zurück zu meinen Fragen:
1. Was sind Emotionen?
Vivian Dittmar grenzt die Begriffe Gefühle und Emotionen klar voneinander ab.
Sie beschreibt Emotionen als Gefühle, die im Moment ihrer Entstehung keinen Raum bekommen haben, die nicht gefühlt wurden bzw. deren Energie nicht ausagiert werden konnte und die demnach in uns bzw. unseren Körpern feststecken (siehe dazu auch: Somatic Experiencing nach Peter Levine). Eine Emotion kann im Hier und Jetzt getriggert werden, doch ist das Gefühl im Dort und Damals entstanden.
Ich gehe davon aus, dass „mit schwierigen Emotionen umgehen“ eigentlich den Umgang mit Gefühlen im Hier und Jetzt meint und werde unter dieser Annahme weiter schreiben.
Dittmar beschreibt das, was wir häufig als Gefühl an sich bezeichnen, als Erfahrung einer der
4 (+1) Urkräfte: Wut, Angst, Freude, Trauer (+ Scham).
Sie erklärt, dass diese Urkräfte absolut nötig sind, um in der Welt zurecht zu kommen. Jede Urkraft hat dabei verschieden starke Ausprägungen, wie auf einem Kontinuum, wenn man so will und sie beschreibt den grad der Ausprägung als gesund bzw. ungesund (oder auch hilfreich und nicht hilfreich, um mal von den Kategorien gut und schlecht wegzukommen).
Das, was aus meiner Sicht absolut wichtig zu verstehen ist, ist Folgendes: Gefühle sind nicht einfach da, sondern sie werden von uns selbst gemacht: „Ein Gefühl entsteht aus der Interaktion von Gedanke und Umwelt.“*
Nimm Dir gern kurz Zeit, um das sacken zu lassen.
Weil es so eingängig ist, zitiere ich direkt:
„Dine meisten Menschen sindn sich der Tatsache, dasse sie ihre Gefühle selbst derschaffen, nicht im Gerin gsten bewusst. Sie (nebenbei Pflichtlektüre in meiner Holistic Bodywork Ausbildung). Dieses Buch ist so wichtig und ich frage mich, warum sowas nicht schon längst Bestandteil der Rahmenlehrpläne an Schulen ist. Nun dennzurüc,k ,z u, m,e,i n,e n Fragen:
Lass gern nochmal sacken.
Ich will hier gar nicht weiter in die Inhalte und die Urkräfte einsteigen, doch wenn Du wissen möchtest, wie Du diese Kräfte als das wertschätzen kannst, was sie sind, nämlich als Kompass für Dein Leben, dann empfehle ich Dir, das Buch zu lesen. Hier als kleiner Vorgeschmack Dittmar's Gefühls-Kompass:
Zurück zu unserem Anliegen: mit schwierigen Emotionen umgehen. Und der zweiten und dritten Frage:
2. Was bedeutet schwierig?
Schwierig ist eine Bewertung, die wir vornehmen und wird oft mit schlecht oder negativ gleichgesetzt. Im Artikel zu Bedürfnissen habe ich schon mal erzählt, dass sogenannte negative Gefühle uns meistens auf ein unbefriedigtes Bedürfnis hinweisen und daher immer eine positive Absicht für uns dahintersteht (nämlich die Situation zu ändern, sodass bestenfalls das Bedürfnis bedient werden kann).
Ich glaube, dass die Bewertung schwierig zustande kommt, weil unsere Gesellschaft eine ist, die gern Kontrolle hat. Besonders Wut ist eine Kraft, die oft unkontrollierbar scheint und deshalb wenig Akzeptanz erfährt (siehe dazu die großartige Ilan Stephani).
3. Was bedeutet umgehen?
Umgehen bedeutet per definitionem etwas handhaben und im Bereich der Psychologie sprechen wir in diesem Zusammenhang von Regulation. Wenn ich Gefühle und Emotionen regulieren kann, bin ich in der Lage, sie dezidiert wahrzunehmen, sie zu verstehen und dann zu steuern. Dies sind mehrere komplexe und wichtige Schritte, die viele von uns, so scheint es, nicht gelernt haben. Ich jedenfalls erinnere mich gut daran, dass es eine Zeit gab, in der ich lediglich sagen konnte, ob ich mich gut oder schlecht fühle und auch heute noch gibt es Momente, in denen ich mich irgendwie fühle, aber gar nicht so genau sagen kann, warum. Vielleicht kennst Du das ja auch. Diese Schritte möchte ich hier nochmal auseinanderdröseln.
Wahrnehmen: Als erstes ist es hilfreich zu erkennen, was ich denn zur Hölle überhaupt gerade fühle. Dafür komme ich doch nochmal zu Vivian Dittmars Kategorien zurück, denn diese eignen sich hervorragend dafür, das zu üben. Wie Du oben im Kompass sehen kannst, ordnet sie jeder Urkraft eine Aussage zu:
Wut: „Das ist falsch“
Trauer: „Das ist schade“
Angst: „Das ist furchtbar“
Freude: „Das ist richtig“
Scham: „Ich bin falsch“
Wenn Du also das nächste Mal etwas fühlst, und Du nicht genau weißt, was, dann könntest Du Dich fragen, wie Du die Situation eigentlich findest. Oder wenn Du ganz genau weißt, was Du fühlst, aber Dein Bedürfnis dahinter noch nicht kennst, könntest Du Dich fragen, ob Du Dir z.B. Klarheit (Wutkraft) oder Annahme (Trauerkraft) wünschst. Damit kommst Du vermutlich auch dem Verstehen schon viel näher.
Ein Beispiel: Ich war neulich im Urlaub, an einem Ort, an den ich sonst alleine fahre. Diesmal hatte ich Begleitung und an den ersten beiden Tagen hatte ich irgendeine diffuse schlechte Laune. Ich konnte aber gar nicht genau spüren, was genau das war. Ich hab mich gefragt, welche der obigen Sätze am besten zu meinem Gefühl passen und es war: Das ist falsch. So konnte ich mich fragen: Was ist denn falsch? Und meine Antwort darauf war, dass ich alleine an diesem Ort sonst immer die Möglichkeit habe, mich einfach treiben zu lassen, ohne mich auf jemand anderen einstimmen zu müssen. Daraus habe ich dann mein Bedürfnis erkannt: eine positive Form von Einsamkeit, in der ich ganz allein für mich sorgen darf. Da ich den Urlaub mit meiner Begleitung natürlich trotzdem genießen wollte, habe ich mir die Zeit für einen Spaziergang allein im Wald genommen und danach war ich wieder zufrieden.
Im nächsten Schritt könntest Du dann schauen, ob Dein Gefühlszustand angemessen ist oder ob eventuell sogar eine andere Reaktion möglich wäre. Dittmar gibt dafür ein gutes Beispiel:
Ich sitze im Café und warte auf meine Freundin, die nicht kommt.
Wutkraft: Ich finde das falsch, denn meine Zeit ist mir wertvoll und ich nutze Wutkraft um Klarheit zu erlangen und mich abzugrenzen. Aus dieser Kraft heraus kann ich entscheiden, was ich nun mache: Weiter warten? Gehen? Die Freundin anrufen? ...
Trauer: Ich finde es schade. Wir haben uns lange nicht gesehen, und nun muss ich auch schon fast wieder los. Trauer hilft mir, die Situation anzunehmen und sie zu verarbeiten.
Angst: Furchtbar. Vielleicht ist ihr was passiert? Ich kann sie anrufen oder ihren Partner, um Informationen zu bekommen.
Freude: Eigentlich kann ich gerade einen Nachmittag alleine im Café gut gebrauchen. Freude hilft mir, das Positive zu sehen.
Scham: Bin ich falsch? Hab ich mir das falsche Datum notiert? Gesunde Scham hilft bei der Selbstreflexion und lässt mich überprüfen, ob ich einen Fehler gemacht habe, den ich dann korrigieren kann.
Nur in der jeweils ungesunden Ausprägung führen alle Urkräfte zu nicht so hilfreichen Zuständen, z.B. Wutkraft zu Zerstörung.
Wenn wir dies verstehen und unsere Gefühle zu Situationen durch diese Brille betrachten, sind wir aus meiner Sicht schon ziemlich gut dabei, mit (ich reframe das mal) herausfordernden Gefühlen umzugehen. Wir können sie als Indikatoren dafür betrachten, was wir brauchen und dann vielleicht sogar reflektieren, ob ein Gefühlszustand (noch) angemessen ist oder ob ich ihn gehen lassen möchte.
Notfallkoffer
Wenn ich allerdings doch mal in einen Zustand rutsche, den ich als nicht förderlich empfinde, z.B. Lähmung, dann kann ich mir überlegen, was mir in dem Moment helfen könnte, aus diesem Zustand wieder herauszukommen. Wenn ich drin bin, kann das schwierig sein und für mich war es sehr hilfreich, mir in zufriedenen Momenten Zeit für eine Vorbereitung zu nehmen. So weiß ich, dass es mir bspw. sehr gut tut, wenn ich mich gelähmt fühle, raus in die Natur zu gehen. Wenn ich mich hilflos fühle und denke, dass ich nichts aktiv an meiner Situation verändern kann, hilft es mir, Rat von mir nahestehenden Menschen einzuholen. Und wenn ich wütend bin und die Wut mich nicht loslässt, dann hilft mir schreien.
Diese Dinge habe ich für mich notiert und wenn ich mit meinen Gefühlen nicht ein noch aus weiß, dann kann ich auf diese Liste schauen.
Wenn Du magst, probier diese Dinge doch gern mal aus (und lies das Buch 😉) Ich freu mich auf Deinen Kommentar!
* Alle direkten Zitate aus: Dittmar, Vivian. Gefühle & Emotionen. Eine Gebrauchsanweisung. 3. Auflage.
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